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Bis ins 19. Jahrhundert war Schönes zu schaffen die vermutlich wichtigste Aufgabe eines jeden Architekten. Schönheit war in der klassischen Architektur unumstritten und ein Wert, den alle Klassen der Gesellschaft teilten. Ein schönes Gebäude war über tausende Jahre gleichbedeutend mit einem klassischen Bauwerk, mit Ornamenten und Verzierungen, regelmäßigen Proportionen und einer symmetrischen Fassade.

Diesen universellen Sinn für die klassische Schönheit - für schöne Gebäude, Bilder, Skulpturen und harmonische Musik - gibt es trotz 100 Jahre Moderne noch immer. Darin sind alle Menschen in zwangloser Bewunderung und ohne die Notwendigkeit von Übersetzungen, Erklärungen und Begründungen miteinander vereint.

Die „Große Theorie“ des Schönen ( Tatarkiewicz), war der große Versuch von der Antike bis zu den großen Renaissance-Baumeistern Kriterien für das Schönen zu finden, und die den Wesen und Dingen zugehörigen, objektiven Eigenschaften zu bestimmen. Gleichzeitig wurde aber das Schöne auch in enger Verbindung zum Göttlichen und damit zum Wahren und zum moralisch Guten gesehen. Das Schöne erschien als sinnliche Gestalt wahrer Ideen oder idealer Proportionen, die in harmonischem Zusammenhang mit dem Kosmos standen.

Spätestens seit dem 18. Jahrhundert hörte jedoch das Schöne auf, Ausdruck objektiver Gesetzmäßigkeiten zu sein. Unter der Herrschaft einer neuen Weltordnung wurde der ganze Bau der klassischen Ästhetik beinahe systematisch zerstört. Das Schönheitsempfinden wird relativierend zur persönlichen Sache und einer subjektiven Bewertung. Die „Abdankung“ der Schönheit ging auch einher mit der Einführung des Begriffs Ästhetik. Unter Ästhetik werden nun alle ästhetischen Phänomene in ihrer Gesamtheit gesehen, und neben dem Angenehmen und Schönen auch Verstörendes und Hässliches aufgenommen. Durch die Einführung dieses Begriffes entfällt die einengende Wertung - ist ein Objekt schön oder nicht? - nun kann auch etwas Hässliches zu etwas ästhetisch Interessantem oder ästhetisch Wertvollem erklärt werden.

Als letzte Aufwallung und Hinwendung kann man die Zeit der Jahrhundertwende mit dem Jugendstil sehen. Wie nie zuvor wurde in dieser Epoche die Kunst auf die Schönheit verpflichtet, der Künstler zum »Schönheitsdienst« angehalten und das Leben selbst als ein Kunstwerk begriffen, das sich den Kriterien des Schönen zu unterwerfen hatte.

Mit der Moderne war aber auch das vorbei. Die moderne Kunst opponierte vehement gegen jedes klassische, konservativ erachtete Schönheitsideal. Eine an Schönheit orientierte Kunst schien geradezu ein Verrat zu sein, eine Lüge gegenüber der Welt, die alles andere als schön ist. Der ästhetisch erzeugte Wahrnehmungsschock und der politisch-moralische Skandal wurden zu den entscheidenden Strategien. Das Obszöne und das Ekelhafte, das Experiment und die Grenzüberschreitung rückten in das Zentrum der Überlegungen und Produktionen.

In der Alltagswelt des laienhaften Publikums sieht die Welt ganz anders aus. Mode, Design, Werbung und Kosmetik leben ungebrochen vom Versprechen der Schönheit. Schönheit ist heute noch immer ein zentraler Wert, auch wenn heutzutage andere Begriffe wie Design, Eleganz, Style oder Glamour gewählt werden. Die Ingredienzen dieses Schönheitskultes reichen bis zur klassischen Antike zurück.

In der Architektur, der letzten Bastion der Schönheit, ging das Bewusstsein und die Verpflichtung für das Schöne erst allmählich und mit Verspätung verloren. Die Architektur hat gegenüber der Kunst den „Nachteil“, dass sie letztendlich doch gefallen sollte und sich auf laienhaftes Schönheitsempfinden stützen muss, um angenommen und akzeptiert zu werden. Die Moderne konnte jedoch mit ihrem gestalterischen Ausdruck von Anfang an nicht mit der Schönheit klassischer Architektur konkurrieren und musste sich damit vertrösten, dass ihre Architektur erst vom neuen, entwickelten Menschen der Zukunft geschätzt werden wird.

 

War der Umstand, dass man mit moderner Architektur keine schönere und die Allgemeinheit begeisternde Architektur erzeugen konnte, vielleicht der Grund, dass Architekten resignativ den Gedanken an Schönheit schließlich ganz fallen ließen? Haben Architekten aufgegeben nach Schönheit zu suchen, zu forschen und in ausdrucksvollen Bauten umzusetzen?

Die weitere Entwicklung ist bekannt und folgt einer logischen Konsequenz: Die Architektur-Ästhetik wurde von allen Regeln und Konventionen befreit und diese mussten einer völligen Beliebigkeit Platz machen. Das Schönheitsbedürfnis des „unverbildeten Volkes“ hingegen, das natürlich vorhandene Sehnen nach Schönem und Edlem, muss in der Hinterlassenschaft historischer Epochen die Befriedigung seiner Erwartungen suchen.

Man fragt sich hier unwillkürlich: Steht der Architekt nicht in der jahrtausendalten Pflicht neben einer lebenswerten (Bau-)Welt, in der heute nur mehr Nützlichkeit, Funktionalität und Rendite zu dominieren scheint, auch Schönheit in die Welt zu bringen? Liegt es nicht an den Architekten, dass sich eine lebenswerte Umwelt entfalten kann, in der Schönheit, Werthaltigkeit und Würde wieder ihren Platz finden? Liegt es nicht an uns, dies von der Architektur zu verlangen? Lehrt uns nicht jede Stadt mit erhaltenen historischen Strukturen wie eine lebenswerte „Wohlfühloase“ auszusehen hat, in der wir zur Ruhe kommen können? Sind wir denn blind geworden für wirkliche Architektur, für schöne Häuser, einladende Wohnstraßen und ein stimmiges bauliches Zusammengehörigkeitsgefühl? Haben wir es aufgegeben schöne Gebäude und schöne Städte zu bauen? Kann es eine Wiederauferstehung des Schönen in der Architektur nach dieser Konjunktur des Albernen, Hässlichen und Gemeinen wiedergeben?

SCHÖNHEIT

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